*EDITORIAL, Amsterdam, Intercultural

Holland, Habiba

23. Mai 2010

Visual „Tuareg girl in Ghadames, Libya“ courtesy Eric Lafforgue

[by Asisa] Tag No 1 in meiner Stadt war wunderschön. Und es ist etwas Unglaubliches passiert.

Nach Wochen des Wartens, war es endlich so weit. Mein Auftraggeber hat mich erneut für 3 Wochen bei seinem Kunden in Amsterdam gebucht. Das ewige Hin und Her zwischen Köln und Amsterdam, die Hoffnung, den Sprung zurück nach Amsterdam wider der katastrophalen Wohnsituation endlich zu schaffen und die ständige Sehnsucht nach dieser Stadt hatten mich fast mit einer Erkältung dahingerafft. Aber ich habe sie weggeschlafen.

Heute Morgen öffnete ich meine Augen in einer Traumwohnung in de Pijp. Alles hier fühlt sich an, als wäre es mein eigenes Zuhause. Danke Lisa! Ich nahm meinem Kaffee auf dem Balkon mit Blick in einen typischen Hinterhof. Musik irgendwo, surinamisches Mittagessen auf dem Herd anderswo, warme, wilde Unordnung auf allen Balkonen und Terrassen. Dann spazierte ich hinaus zum Einkaufen. Darauf hatte ich mich am meisten gefreut. Endlich all diese Dinge einkaufen zu können, sie nach Hause tragen zu dürfen und damit zu kochen! Ich koche seit meinem 5. Lebensjahr und es ist kein Hobby, sondern eine biologische Notwendigkeit.

Ich lief selig durch den samstäglich vollen Albert Cuyp Markt. Die Sonne schien über alle Stände und machte die vielen Gerüche und Farben, Sprachen und lachenenden Gesichter noch schöner und fröhlicher. Ich kaufte ein paar Pfingstrosen, grüne Oliven, marinierte Artischocken, Mozzarella, viel Gemüse und Kräuter und einen supertollen Fisch. Ich spazierte und spazierte. Setzte mich hin und trank einen Tee. Lief weiter in eins meiner absoluten Lieblingsgeschäfte und kaufte einen Foulard und ein Kleid.

pesci

suri

Chilies

Als ich kehrt machte, fiel mir ein, dass ich keine Chilies hatte. Und ohne scharfe Chilies geht natürlich nichts. Keine Minute später kam ich an einem arabischen Metzger vorbei. Ich betrat den Laden und wurde sofort belagert und belächelt. Ich bin das gefundene Fressen für viele Afrikaner und Nordafrikaner. Die damit einhergehende Distanzlosigkeit geht mir meistens total gegen den Strich. Mein Vater ist ein libyscher Amazigh — sehr stolz und sehr reserviert. Meine Mutter ist Deutsche. Ich fühle mich am wohlsten unter Sarden, die genau die Dosis Wärme, Nähe und Distanz in sich vereinen, die ich brauche. Bei plumper Nähe nehme ich reißaus. Es sei denn, ich brauche Harissa, Chilis, Lamm und Khobza.

Ich lächelte beide Männer an und konzentrierte mich. Was fehlte mir noch? Was koche ich morgen Abend? Ich nahm ein paar Zitronen. Und noch ein paar. Dann Bulgur. Ich dachte „Tabula!“ und nahm noch mehr Zitronen. Mit dem letzten freien Finger griff ich nach einem Bund Petersilie und stapelte zwei Tuben tunesische Harissa auf den Berg Zitronen in meinen Armen. Der Metzger winkte mich zu sich und nahm mir alles ab. Da mein Niederländisch noch nicht komplett geschlüüft ist, dankte ich ihm auf Englisch und bekam auf Englisch Antwort von diesem arabischen Metzger. Kein Mensch auf der Welt, nicht einmal ein sehr renommierter Heidelberger Linguist, konnte mir erklären, warum die Nordafrikaner solche Sprachgenies sind, während viele Türken und Italiener selbst nach 40 Jahren in Deutschland noch immer kein Deutsch sprechen.

Mein Blick durchforstete die Fleischtheke. Ich bestellte Lamm und nahm einen Beutel libanesisches Brot. Der Metzger fragte mich, ob ich noch etwas brauche. „Some eggs please“, und während ich das sagte, fühlte ich, wie noch jemand den Laden betrat. Für eine kurze Sekunde nahm ich im Augenwinkel unscharf eine Frau wahr, schaute aber nicht hin, weil ich etwas aus meiner Kindheit wiederentdeckt hatte: Ein Brot, ähnlich einer Focaccia, die meine Großmutter in Tripolis damals selber machte. Ziemlich fettig. Er bot mir ein Stück an, aber ich lehnte dankend ab. Als er begann zu insistieren, erklärte ich, dass ich auf Diät sei, woraufhin er und seine beiden Kollegen augenblicklich lautes Lachen ausbrachen. Das war lustig und gleichzeitig verdammt frech. Ich drehte mich reflexartig nach dieser Frau um, auf der Suche nach solidarischer Unterstützung.

Ich drehte mich um zu der Person, die ich bis dahin nur gefühlt, nicht aber gesehen hatte. Und dann passierte es: Ich blickte in das Gesicht einer Frau, das mich total, total und total umhaute. Sie lächelte mich an, so intensiv, warm und liebevoll, dass mir der Mund offen stand. Sie war so schön. Dann ging sie auf mich zu, legte ihre Hand auf meinen Arm, griff ihn fest und begann, mit den Metzgern zu schimpfen, die daraufhin noch mehr lachten, jetzt aber schüchterner, etwas leiser, aber immer noch warm und herzlich. Ich verstad kein Wort, wusste aber genau, dass sie wie meine Großmutter war.

Als ich klein war, hat die meinen Vater genauso geschimpft, immer dann, wenn er zu streng mit mir war. Obwohl mein Vater immer Deutsch mit gesprochen hat hat meine Großmutter immer sofort gefühlt, wenn ich traurig oder erschrocken war. Dann zog sie ihren Pantoffel aus und jagte meinen Vater damit durch unsere komplette Bonner Wohnung. Er rannte weg und lachte wie ein kleiner Lausbub, der er als Kind gewesen war. Ein ganz schlimmer Lausbub war er. Wann immer sie ihn mit ihrem Pantoffel jagte, war ich glücklich und fühlte mich total sicher und geborgen.

Diese Erinnerungen liefen blitzschnell innerhalb weniger Sekunden durch meinen Kopf, während diese kleine süße, bildschöne Frau mit Locken wie meine, einer Haut schneeweiß wie meine, bernstein-grünen Augen wie die meinen den Metzger anpolterte. Ich war so überwältigt, dass ich mich keine Sekunde länger hätte beherrschen können. Ich war nur noch wenige Sekunden von einem lauten Heulkrampf entfernt und das durfte auf keinen Fall passieren, also lachte ich so gut ich konnte, zahlte, drückte ihre Hand und lief nach draußen. Ganz schnell.

Am liebsten wäre ich stehen geblieben, um mit ihr zu reden, sie kennenzulernen und mit ihr etwas trinken zu gehen. Sie sah aus wie eine der Frauen, die ich als Kind in Tripolis gesehen habe. Sie war todsicher eine Amazigh. Ich kann diesen Typus nicht beschreiben und ich sehe ihn auch nahezu niemals, weder in Holland noch in Deutschland. Ihr Lächeln war wie nach Hause zu kommen. Die totale Wärme, ein Klick, eine Verbindung. Mir fehlt, seit ich denken kann, eine mir total vertraute Wärme. Gleichzeitig vertraut und total abwesend. Eine weibliche Wärme, die mir inne wohnt, die sich selbst aber nie richtig verstehen konnte, weil ihr das weibliche Gegenüber fehlte. Die Referenz in anderen Frauen.

Als ich auf mein Fahrrad stieg, setzte ich meine Sonnenbrille auf und ließ die Tränen laufen. Mir war auf einen Schlag total bewusst geworden, wie sehr mir diese Kultur und der Kontakt zu ihren Frauen in meinem Leben fehlte. Mir fehlen diese Frauen unheimlich. Ihre pure, unpolitische, unreligiöse, archaische, reine, weibliche, starke, wilde Beduinenkraft.

Holland, Habiba — ich liebe Dich

Kein Wunder, dass Dich der Maghreb belagert. Du bist voller Heftigkeiten, denn Du bist immer noch voller Piraten. Deine blonden Frauen sind umwerfend schön und wild, ohne Angst und sinnlich. Wie sie sich bewegen, und wie sie sprechen mit ihren heiseren Stimmen. Ihr verwegen verspielter Stil zeugt von einer Erdigkeit, die meine Schwestern der nordafrikanischen Wüste anspricht, auch wenn wir aus zwei ganz unterschiedlichen Ecken dieses Planeten kommen. Und mit den Männern ist es nicht anders. Ich schlucke ohne Unterlass über die Impertinenz niederländischer Männer. Und liebe auch das. Denn so muss es sein, nur so, denn keine gescheite Frau auf dieser Erde will Diskussionen mit Männern in hellen Baumwollsocken und Sandalen führen, die Rucksäcke haben. Rucksäcke mit Butterbroten drin, die sie in ihren Fahrradkörbchen vorsichtig fahrend umher führen, selbstverständlich, nachdem sie sich einen Helm aufgesetzt haben.

Es ist total klar: Ich werde in dieses Land auswandern, für immer, und ich werde ungebrochen so dermaßen verliebt sein in diese Kulturmelange, dass es Konsequenzen hat. Man darf mich nicht unterschätzen. Ich bin zwar nur so ein kleines Ding. Aber ich habe ziemlichen Impact. Und das ist ein kleines Land und ich werde sehr sehr viel unterwegs sein und meine Duftmarken verteilen. Bestimmt werden noch Dinge passieren mit mir und den arabischen und niederländischen Frauen hier. Ik voel het aankomen. Ich war schon immer eine Brücke, jemand, der verschiedene Welten miteinander verbindet. Immer. Ich freue mich so. Ich weiß nicht, was es ist, worauf ich mich da freue, aber ich weiß, es wird kommen und es wird schön. Mein Leben.

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8 Comments

  • Reply Leo Salazar 23. Mai 2010 at 8:29

    Gorgeous. Moving. Your Ode to Holland deserves a wide audience. Personally, it makes me thankful for what I take for granted, every day. Wonderfully written.

    Thank you.

  • Reply Asisa 23. Mai 2010 at 9:00

    I thank you, dankjewel 🙂

  • Reply Anneeke 24. Mai 2010 at 18:09

    I really enjoyed your story. I told you in a tweet allready but will do it again here. And chilipeppers will never be the same!.

    • Reply Asisa 24. Mai 2010 at 18:11

      How sweet, Anneeke, thank you so much :))))

  • Reply Ruben 9. Juni 2010 at 0:27

    You are an awesome writer, this deserves a bigger platform! Seriously, it’s not the „I love Holland“ stuff because I admire Americans, but most of all your beautiful style and use of vocabulary. Astonishing…

    Move here quickly and don’t be afraid to use your name, Dutch clients usually like to hire writers that do some proza on the side!

  • Reply Asisa 9. Juni 2010 at 9:15

    Dear Ruben, van harte bedankt 🙂

    And conncet with Leo Salazar, @srleosalazar, he is an Americano living in HabibaLand 😉

  • Reply Leo Salazar 9. Juni 2010 at 12:33

    I second Ruben’s sentiment. Thanks for the connect!

    Leo

  • Reply tamimat 15. Oktober 2010 at 18:19

    🙂

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